Aachener Appell

für einen sofortigen Stopp der ruinösen Kaiserplatzgalerie-Aktivitäten

Wie die Ankündigung eines Bauvorhabens mehr realen Schaden als glaubhaften Nutzen bringt und wie die Bevölkerung aus dieser stadtplanerischen Sackgasse entkommen kann.

Vor nunmehr zehn Jahren entstand die Idee, am Aachener Kaiserplatz eine Einkaufsgalerie zu bauen. Die bloße Bekanntmachung dieser Idee hatte für das betroffene Viertel bereits lange vor dem avisierten Baubeginn sichtbare, fata­le Folgen: Angekündigte Hauskäufe führten zu Sa­nierungsstaus und abgebrochenen Mietverhält­nissen. Die Leerstandsquote nahm immer grö­ßere Dimensionen an. Dann wurden vor drei Jahren Häuser abgerissen, ganze Stra­ßenzüge „entmietet“.

Wem gehört die Stadt?

Gab es einen Grund, so frühzeitig eine Lücke in das Quartier zu schlagen?

Das Startsignal für das unwürdige Verfahren wurde mit dem Abriss des denk­mal­würdigen ehemaligen Gloria-Kinos Mitte 2007 abgege­ben. Bevor ein Denk­prozess in der Aachener Bevöl­kerung in Gang kommen konnte, wurden mit dem Abriss zer­stö­rerisch Tat­sachen ge­schaffen. Eine lästige Bürgerinitiative zum Er­halt des alten, denkmal­schutz­würdigen Kinoge­bäudes musste nun niemand mehr befürchten, weder der Investor noch der ihm geneigte Ober­bürger­meister und die Baudezernentin.

Der Abriss setzte enge Absprachen zwischen Investor und der Aachener Verwaltung voraus, denn jeder, der ein Haus abreißt, braucht dazu eine Genehmigung. Die Strategie des Investors ging auf: Mit den ersten Abrissen intakter, erhal­tenswerter Gebäude wur­den die oft beschwore­nen „Sachzwänge“ geschaf­fen. Der Investor konnte ab diesem Zeitpunkt den Druck auf die ihm nützlichen Institutionen (Poli­tik, OB, Baude­zernentin) erhöhen: Der Zustand des Viertels, für dessen Verschlechterung er durch das Auf­reißen der klaffende Baulücke und die Vertrei­bung von Bewohnern und Einzelhandel selbst gesorgt hatte, ließ die vom Investor vorgeschlagene „Lösung“ auf seinen Grundstücken unumgänglich erscheinen. Der Lobbyist schuf sich den Status des Pseudo-Heilsbringers.

Und so wurde mit den Stim­men der Fraktionen der CDU, der SPD, der Grünen und der FDP im Februar 2009 auch die letzte Bebauungsplan­änderung zugunsten der Absichten des Inves­tors abge­segnet – zahlreichen Protesten und Einwänden von Seiten der Bürgerschaft zum Trotz. Obwohl feststand, dass schon das neue Einkaufszen­trum „Aachen-Arkaden“ in seiner Zielsetzung ge­scheitert war und die Kaufkraft in Aachen bereits überreizt ist, ent­schied man sich ohne Not für einen über­großen Konsumglaskas­ten mit − verkehrspla­nerisch völ­lig überflüssi­gem − aufgesetz­tem Park­haus, eine Bausünde mit kata­strophalen und teuren Folgen für die Stadt.

Bereits vor dem Bau erfolgten

  • die Vernichtung von weit über 5000 Qua­dratmetern bezahlbaren Wohnraums,
  • die Ver­treibung der dort lebenden und das Gebiet bis­her nut­zenden Menschen und
  • die Privatisierung einer historisch gewach­senen Straße.

Sollte der Bau in geplanter Form tatsächlich umgesetzt werden, drohen

  • der ruinöse Verdrängungswettbewerb zwi­schen den Händlern der „Kaiserplatzgale­rie“ mit ca. 30000 qm zusätzlicher Netto-Verkaufs­fläche und den etwa 1000 ange­stammten Aachener Innenstadt-Einzel­händlern mitsamt deren MitarbeiterInnen − zum Schaden aller,
  • der Luft- und Verkehrsinfarkt durch ein über­flüssiges Parkhaus, das zugleich die Park­einnahmen in städtischen Parkhäu­sern zulas­ten der Stadtkasse drastisch mindern würde, und
  • die Vernichtung eines Naturdenk­mals sowie der Abriss von intakten und zum Teil denkmalgeschützen Häusern.

All dies wurde angesichts der in Aussicht ge­stellten Investiti­onssumme „übersehen“ und billigend in Kauf genommen. Dabei scheint dem Stadtrat und der Baudezer­nentin wenig peinlich zu sein: Kriti­sche Fragen besorgter Bürger beantworten sie lapidar mit „im Rahmen der Interessenabwägung haben wir uns dazu entschieden.“ Wessen Interessen zählten da wohl wieder einmal mehr?

Politik und Verwaltung machten sich zu ohn­mächtigen Geiseln des Investors, der lieber quar­talsmäßig bei der örtlichen Presse blumi­ge Durch­halteparolen formulierte statt zu bauen.

Bisher kriegt der Investor die notwendigen Mieter und Geldgeber offensichtlich nicht zusammen. Ein benannter Finanzier stand gar nicht zur Verfügung; andere Geldgeber wollen diese Lücke angeblich ausfüllen, doch Genaueres ist nicht zu erfahren. Investor Kahlen, OB und Poli­tik versu­chen, den Ball flach zu halten. Kriti­sche Empö­rung wird bis heute mit Vertröstun­gen be­zähmt oder ins Lächerliche gezogen. Die Pres­se hält sich mit investigativen Recherchen und kritischen Tönen zurück. Während des gesam­ten Kommunal­wahlkampfes wurde das Thema tot­geschwiegen. Auf Anfrage erklärt der Ober­bürgermeister, die Pro­bleme des Investors der „Kai­serplatzgalerie“ seien pri­vater Natur!

Aber es ist keine private Angelegenheit, wenn ein ganzes Viertel aufgrund der Blindheit, Igno­ranz oder Investorenhörigkeit der großen Aachener Konsens-Fraktion systematisch rui­niert wird mit Auswir­kungen auf die ganze Stadt. Auch ist es keine private Angelegenheit, wenn zahlreiche Mieter aus ihren Wohnungen gedrängt und kleine Einzelhändler aus ihren Geschäften vertrieben werden. Es ist keine private Ange­legenheit, wenn Politik und Verwaltung einem einzelnen Spekulanten die Fäden in die Hand geben und damit eine Stadt zum Spielball mutmaßlich fi­nanzkräftiger Profitmaximierer machen.

Die Idee „Kaiserplatzgale­rie“ hat viel Schaden gebracht und keinen erkennbaren Nutzen. Sie muss ver­schwinden: aus den Köpfen, aus dem Vier­tel, aus der Stadt. Sie darf nicht länger ihre Zerstörungskraft auf das Viertel ausüben. Nur so können der Kaiser­platz und das angrenzen­de Gebiet noch gerettet werden – architekto­nisch, atmosphärisch und menschlich.

Wir fordern deshalb Oberbürgermeister Marcel Philipp und die Damen und Herren des Aachener Stadtrates auf: Stoppen Sie diesen Wahnsinn, der zum Verfall eines ganzen Viertels führt! Sorgen Sie dafür, dass das Bauvorhaben ad acta gelegt wird! Bewegen Sie Herrn Kahlen, seine Grund­stücke zu einem angemesse­nen Preis für nützlichere Zwecke zur Verfü­gung zu stel­len. Steuern Sie um, und entwi­ckeln Sie ein lebendiges, grünes, wohnliches und men­schenfreundliches Stadt­quartier am Kaiser­platz!

Denn, werte Politiker, Verwaltungsleute und diesen gelegentlich nahe stehende Medienchefs der großen Aachener Konsens-Fraktion, lasst euch sagen: Stadt ist mehr als Geld. Stadt ist mehr als Parken und Einkaufen in modernistischen Bau-Fremdkörpern. Stadtpoli­tik muss für die Mehrheit der Bevölke­rung da sein, nicht für die Geschäfte einzelner Speku­lanten.

Mit Freude können wir von Mie­tern am Kaiser­platz berichten, die stand­haft in ihren Wohnungen ge­blieben sind. Wir müssen sie unterstüt­zen und ihnen Öffentlichkeit geben. Denn von der „for­malisierten“ Öffentlichkeit ist in die­ser Stadt we­nig zu erwarten.

Wir unterstützen den Aachener Appell und fordern die verantwortlichen Akteure auf, im Sinne des Appells weiteren Schaden von der Stadt abzuwenden:

Maya Piwowarsky, Schülerin; B. Breuer, Sekretärin; Horst Schnitzler, Ratsherr der Stadt Aachen; Ute Piwowarsky, Schmuckdesignerin; Papst Pest, Künstler/DJ; Hans Dietz, Rentner; Jens Weser, Student; Karl-Heinz Evers, Zusteller; Anna Sommer, Gebärden­sprach­dol­met­scherin; Anya Vedant, Künstlerin; Infoladen Aachen; Hamdi Sertkaya, Einzelhändler; Manfred Käsmaier, Student Bau­inge­nieur­wesen; Hilde Mayer-Hohmann, Verlags­kauf­frau; Erhard Krampe, Dipl.-Ing.; Marianne Allemand, Lehrerin i. R.; Markus Rothland, Architekt; Ullrich Mies, Politologe; Michael Penners, Dipl.-Volkswirt; Christoph Vanwersch, Student; Helmut Allemand, Lehrer i. R.; attac Aachen; Stephan Janssen, Bauingenieur; Theresa Küppers, Dipl.-Rel.-Päd., Gemeinde­refe­ren­tin; Robert Sukrow, Künstler; Gabriele Klinkenberg, Ver­wal­tungs­fach­angestellte; Helga Weyers, Dipl.-Geologin; Valder Birgit; Michael Schiek, Wissenschaftlicher Angestellter; Christoph Allemand, Architekt; Astrid Kania, kaufm. Angestellte; Hildegard Allemand, Rechtsanwältin; Karin Renner, Chemikerin; Birgit Heitmann, Rentnerin; Oliver Schadow, Student; Melanie Tümmers, Yogalehrerin; Claudia Hitschke, Architektin; Helmut Malmes, Soziologe/Kabarettist; Bianca Sukrow, Literaturwissenschaftlerin; Martin Christfreund, Ingenieur; Tine Klement, Lehrerin; Thomas Rädisch, Arzt; Thomas Volkmer, Maschinenbau-Ing.; Gerhard Bahr, Softwareentwickler; Gerhard Horriar, Dozent; Astrid Urgatz, Architektin; Silvia Szymanski, Autorin; Waltraud Nießen, Lektorin; Eduard Reimann, Dipl.-Sozialpädagoge; Udo Borkowski, Informatiker; Rahul Sharma, Student; Almut Jakobs, Stadtplanerin; Jürgen Huenerbein, Architekt; Elisabeth Ruppert, Architektin; Annette Altendorf, Stadtplanerin; Susanne Gross-Braken, Übersetzerin und Dolmetscherin